
Davis Cup: Severin Luethi, Roger Federer und Stanislas Wawrinka. (Foto: Aleksandar Djorovic/EQ Images)
TELE Geniessen Sie es, mal wieder in der Schweiz zu sein?
SEVERIN LÜTHI Ja, absolut. Zuvor war ich seit Anfang August nur vier Wochen zu Hause in Thun. Das ist schon sehr wenig. Ab und zu muss man einfach wieder heim, das ganze Leben ist ja dort. Vor allem ist es schön, mal wieder etwas länger hier zu sein. Bei nur einer Woche, bin ich sonst immer gleich etwas im Seich und muss Prioritäten setzen. Wen gehe ich nun besuchen: Familie oder Kollegen?
Vermissen Sie denn jeweils das Daheim?
Ja, auf jeden Fall! Es gibt solche, die vermissen das Daheim überhaupt nicht. Etwa Roger, der lebt auf der Tour und hat immer sein Umfeld und die Familie dabei. Er beklagt sich selten, er müsse mal wieder nach Hause. Ich gehe nach fünf, sechs Wochen gerne wieder heim, schlafe im eigenen Bett und lebe nicht aus dem Koffer.
Hat man das Reisen nicht irgendwann satt?
Hmmm … Schlussendlich ist es ein Privileg, mit Roger unterwegs zu sein und beim Davis Cup auch Stan helfen zu können. Es ist etwas, das ich sehr gerne mache, da muss man die Sachen, die vielleicht nicht ganz so positiv sind, auch akzeptieren, das gibt es ja in allen Jobs. Grundsätzlich ist es auch nicht so, dass ich gar nicht gerne reise. Wir sind ja auch immer in unglaublichen Städten wie New York, Paris, London, Dubai oder Melbourne. Man ist zwar vielleicht nicht mehr ganz so enthusiastisch wie beim ersten Mal, aber es bleibt ein Privileg, so viel bei der Arbeit zu sehen und kennenzulernen.
Und Ihre Freundin begleitet Sie dabei?
Nun wieder weniger, da Claudia gerade wieder einen 100-Prozent-Job im Pharma-Aussendienst begonnen hat. Bis Ende letztes Jahr arbeitete sie im Mandatsverhältnis, war flexibler und konnte mich öfter begleiten.
Kommen Sie als grosser Fan des SC Bern eigentlich noch auch ab und zu ins Eishockey-Stadion?
(Kramt ein Ticket hervor.) SC Bern – Rapperswil Lakers. Wenn ich da bin, versuche ich immer, an die Matches zu gehen. Ich bin seit langem Fan und ging früher schon mit meinem Vater ins Stadion. Mich fasziniert die unglaubliche Stimmung. Ich mag Eishockey auch als Sport, es ist ehrlicher als andere Sportarten.
Und Roger Federer begleitet Sie?
Ja, er kam auch schon mit. Und ich ging dann im Gegenzug an Fussballmatches des FC Basel mit.
Woran fehlt es jungen Spieler eigentlich, um den entscheidenden Schritt an die Weltspitze zu machen?
Heutzutage ist es extrem schwierig, als Junior den Schritt an die Weltspitze zu machen. Man muss überzeugt sein und es lieben, was man macht. Schlussendlich hat jeder einen anderen Grund, warum er es nicht schafft. In der Schweiz wird man sehr schnell hochgejubelt und mit einem Federer oder Wawrinka verglichen. Ohne dass etwas erreicht wurde, werden bereits die Superlative hervorgeholt. Vielfach geht es uns auch einfach zu gut. Bei mir war es vielleicht auch etwas so. Uns geht es auch gut, wenn man nicht Tennisprofi wird.
Wer ist das grösste Schweizer Talent?
Ich kenne die Jüngeren zu wenig, um mir eine abschliessende Meinung zu bilden. Aber ich möchte auch keine Namen nennen, denn meistens ist es für diese dann eher schädlich. Die wähnen sich danach vielleicht im Soll, obwohl sie es gar nicht sind. Ich fand es immer gut, wenn sich Junge in Ruhe entwickeln konnten. Auch bei Roger war das so, obwohl er sehr talentiert war, konnte er sich relativ lange in Ruhe entwickeln. Mein Tipp: Harte Arbeit wird belohnt.
Wo würden Sie eine Top-10-WTA-Spielerin in der Rangliste der Schweizer Männern einstufen?
Hmmm… Ich kann es ein bisschen einschätzen, weil ich früher der Sparringpartner von Martina Hingis war. Rein vom Tennistechnischen her ist ein guter N2-Spieler (Ränge 11 bis 30 in der Schweiz; Anm. der Red.) sicher an einer Top-10-Spielerin dran. Es kommt allerdings auf die Umstände an: Wenn Serena Williams auf dem Center Court in Paris spielen kann, wird es in dieser speziellen Umgebung auch für einen N1-Spieler schwierig. Aber klar ist: Die ATP-Nummer 200 schlägt sicher jede Frau.
Gäbe es für Sie als Trainer eine Frau, die sie gerne coachen würden?
Ich habe mir das noch nie überlegt. Es ist natürlich ein bisschen anders, eine Frau oder einen Mann zu coachen. Es könnte auf jeden Fall interessant sein. Mir wäre wichtig, dass das Zwischenmenschliche stimmt. Ich kenne aber die Spitzenspielerinnen fast zu wenig gut. Eine sehr sympathische ist Ana Ivanovic, die kenne ich noch von meiner Interclub-Zeit beim Grasshopper Club Zürich (Ivanovic spielte 2004 als 17-Jährige bei GC Interclub; Anm. der Red.). Die ist sehr nett und hat als Ex-Nr. 1 auch Potenzial.
Bei welchem Match haben Sie eigentlich am meisten mit Federer gelitten?
Einer der schlimmsten war, als Roger 2008 im Wimbledon-Final gegen Nadal verloren hat, der ohne Flutlicht bis halb in die Nacht gespielt wurde. Der war sicher bitter, weil ich gespürt habe, wie es Roger wehtat, dass er diesen Match verloren hat. Es gibt immer wieder solche Matches, aber das ist wie bei einem Unfall: Die versucht man irgendwann aus dem Gedächtnis zu löschen. Auch bei Stan gab es einige Matches, bei denen er mir extrem leidgetan hat, wie etwa die Achtelfinal-Niederlage gegen Djokovic vor einem Jahr beim Australian Open, wo er den Sieg wirklich verdient gehabt hätte.
Wie sieht die Aufgabenteilung zwischen Ihnen und Stefan Edberg als Trainier-Duo von Roger Federer aus?
Wir ergänzen uns mehr. Wir haben aber auch noch nicht so viel Zeit zusammen verbracht. Wir besprechen uns natürlich, wer macht was. Wir telefonieren oft und tauschen uns aus. Edberg ist aber weniger dabei als zuvor Paul Annacone, mit dem hatte ich einen sehr engen Kontakt. Das ist aber gar nicht schlecht. Roger kann damit umgehen, dass er auch mal Inputs von Edberg erhält, ohne dass diese noch durch mich gefiltert wurden. Roger kann das extrem gut: Von einer Person nimmt er das, von der anderen jenes und macht sich sein eigenes Bild. Edberg ist für Roger auch einfach Inspiration, weil er sein Idol war.
Auch Sie waren ja ein Fan von Stefan Edberg?
Ja, extrem. Ich war gestern gerade bei meiner Mutter am alte Kleider durchsuchen, habe aber leider mein Stefan-Edberg-Liibli noch nicht gefunden. Es ist super, mit solchen Leuten zusammenarbeiten zu können. Es ist sehr interessant zu sehen, wie diese funktionieren, und zu lernen, wie es früher war.
Überall konnte man lesen, dass sich Roger Federer spontan entschlossen habe, in der Davis-Cup-Partie gegen Serbien anzutreten. War das wirklich so?
Definitiv weiss man es sowieso immer erst sehr kurzfristig. Schlussendlich ist er Chef seines Unternehmens und kann kurzfristig entscheiden. Klar, wir wussten schon vorher, dass es vielleicht eine Chance gibt. Aber da kommt es immer darauf an, wie es von den Medien aufgefasst und interpretiert wird. Manchmal ist es besser, man sagt, dass man nicht spielt, auch wenn es 2 Prozent Chancen gibt. Denn sonst machen einige Medien daraus auf einmal 60 Prozent.
Nun ist die Situation ja optimal, denkt man da auch schon an den Titel?
Nein, das dürfen wir nicht. Ich verstehe, wenn die Fans davon träumen, aber wir müssen dafür noch drei Partien gewinnen, und der Final ist erst in einem halben Jahr. Wir müssen uns darauf konzentrieren, gegen Kasachstan zu gewinnen und die Füsse am Boden zu behalten. Wir können es uns nicht leisten, zu viele Verletzte zu haben. Wir haben nicht eine solche Leistungsdichte wie Frankreich, Spanien oder so. Wir brauchen einfach unsere Top-Leute, um die starken Mannschaften zu schlagen.
Wie finden Sie Heinz Günthardts Analysen bei SRF? Hören Sie diese überhaupt jemals?
Nicht so oft. Meistens bin ich unterwegs. Aber ich höre ihm gerne zu, und man merkt natürlich, dass er viel vom Tennis versteht, das ist für mich unbestritten. Er ist ein ausgewiesener Tennisfachmann, von denen wir nicht viele in der Schweiz haben.
Wie sehen Sie das Tennis in zehn Jahren?
Das würde mich auch interessieren. Ich weiss es nicht. Da aber alle Beläge immer ähnlicher sind, könnte es ein bisschen monoton werden. Alle spielen immer mehr auf die gleiche Art. Das finde ich schade. Früher war es super, da gab es einen, der Serve-and-Volley spielte, und einen anderen, der nur von der Grundlinie agierte. Es gab viel mehr Unterschiede, das fand ich interessanter. Ich bin natürlich froh, wenn Roger Erfolg hat und immer in den Final oder Halbfinal kommt. Aber ich hoffe einfach, dass das den Leuten nicht irgendwann langweilig wird. Da sind wir wieder beim Thema, wieso die Jungen nicht so schnell nach oben kommen. Es ist schön, wenn Roger und Stan zur Gruppe gehört, die Grand-Slam-Turniere gewinnen können. Aber als Tennisfan wünschte ich mir irgendwann wieder, dass öfter verschiedene Spieler gewinnen, dass man unterschiedliche Spielarten sieht und dass es nicht immer das Gleiche ist. Die Spieler werden in nächster Zeit aber sicher noch athletischer und kompletter.
Wie ist das für Sie, wenn Federer gegen Wawrinka spielt?
Scho bitz en eckligi Situation. Mit Roger arbeite ich 100 Prozent, Stan versuche ich auch zu helfen. Da bin ich etwas zwischen Stuhl und Bank. Eigentlich ein schönes Problem, aber nicht so angenehm. Man will dann auch nicht allzu fest auffallen, für einen zu fest klatschen, man muss sich dann etwas in den Hintergrund verziehen.
Ich habe mal gelesen, dass Sie acht Fallschirmsprünge absolviert haben. Wann waren Sie das letzte Mal?
Es sind immer noch acht. Das war etwa vor zehn Jahren. Haben Sie es mal gemacht?
Bisher noch nicht, aber ich möchte es unbedingt mal machen.
Es ist unglaublich. Das ist der Hammer! Als ich damals landete, war es wie frisch verliebt, einfach mal zehn. Ich wusste nicht mehr, in welche Richtung ich laufe.
Wieso sind Sie denn danach nicht mehr gesprungen?
Ich bin nicht drangeblieben. Aber ich habe es mir schon einige Male überlegt, es wäre schon cool, es mal wieder zu machen. Aber es braucht schon viel Überwindung. Auch meine Freundin sagt, ich dürfe nicht mehr springen. Aber es ist ja keine Risikosportart. Mit dem Ersatzschirm kann eigentlich nicht viel passieren.
Wäre das auch etwas für Roger Federer?
Nein. Ich habe zwar auch schon mit ihm darüber gesprochen, aber das ist nicht so Seins. Ich begreife das, es muss jeder für sich selber entscheiden. Aber Stan ist schon gesprungen. Und ihm habe ich schon gesagt, wir müssen mal wieder gehen.
Dann wäre das doch etwas für die Feier nach dem Gewinn des Davis-Cup.
Ich bin dabei! Ich würde alles machen! Aber schauen wir mal, das ist ja wirklich noch weit weg.